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Ein paar Worte zum Umgang mit Ängsten (Nicht nur in Zeiten von Corona)

Lieber Mitmensch,

wir erleben derzeit außergewöhnliche und bedrängende Zeiten. Viele von uns sind durch die aktuellen Ereignisse nicht nur äußerst besorgt und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sondern gesundheitlich oder wirtschaftlich ganz unmittelbar betroffen. Es scheint derzeit nur noch ein einziges alles beherrschendes Thema zu geben: das Coronavirus.

Zur dessen äußerer Eindämmung wurde inzwischen vieles getan. Auch zur Eindämmung der schlimmsten wirtschaftlichen Folgen. Hilfspakete wurden bereits auf den Weg gebracht und es werden täglich neue Strategien entwickelt, um die Situation zu verbessern. Was aus meiner Sicht bisher jedoch noch vollständig fehlt, ist eine aufklärende Strategie zum Umgang mit den vielen durch all die bedrohlich erscheinenden Lebensumstände ausgelösten Ängsten.

Gerne möchte ich deswegen mit dir teilen, wie ich selbst gelernt habe, mit meinen Ängsten umzugehen. Mir hilft diese Strategie, ungeachtet der äußeren Umstände, weitgehend im inneren Herzensfrieden zu verweilen. Aus diesem inneren Herzensfrieden heraus kann ich dann oft neue Wege erkennen, welche auch im Außen zu Problemlösungen und zur ganz konkreten Verbesserung meiner realen Lebensbedingungen führen. Das funktioniert selbst in solchen Zeiten erstaunlich gut.

Im Moment können wir im Außen erst einmal nicht viel mehr tun, als bereits getan wird. Müssen die Situation zunächst scheinbar so annehmen, wie sie ist. In vielen von uns erzeugt dies zusätzlich das Gefühl der Ohnmacht. Aber tatsächlich gibt es doch etwas, was wir tun können. Wir können versuchen, unseren inneren Umgang mit dem Thema so zu verändern, dass wir trotz dieser äußeren Umstände innerlich nicht so sehr oder überhaupt nicht mehr von Ängsten beherrscht werden. Was wir dazu brauchen, ist ein wenig Mut und Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und ein wenig Zeit für uns.

Dann kann es losgehen:

Zunächst einmal bin ich bereit, mir die Angst als solche bei mir selbst anzusehen. Selektiere sie von dem auslösenden Thema, an welches sie gebunden zu sein scheint. Vielleicht war diese Angst, die ich gerade fühle, schon die ganze Zeit schlafend bei mir? Wurde jetzt nur aufgeweckt und eingeholt durch eine aktuelle bedrängende äußere Lebenssituation? Wo genau in meinem Körper kann ich dieses Gefühl am intensivsten wahrnehmen? Kann ich es lokalisieren? Dann schaue ich mir diese Körperstelle ganz genau an und versuche zu ergründen, ob es in meinem Leben schon einmal eine Situation gab, in welcher dieses Gefühl an dieser Stelle präsent war. Wie ging ich damals damit um? Bin ich davor weggelaufen? Hatte ich es, weil ich es nicht fühlen wollte oder konnte, weil es zu bedrohlich erschien, vielleicht einfach nur die ganze Zeit verdrängt und vergessen? Lag es deswegen vielleicht schon viele Jahre als unerledigte Akte auf dem Schreibtisch meines Unterbewusstseins, welche seither dort darauf wartet, durch mein bewusstes Ansehen und erneutes Fühlen aufgelöst zu werden?

Wir lernen von Kindesbeinen an, zwischen angenehmen und unangenehmen Gefühlen und Empfindungen zu unterscheiden und diese somit zu bewerten. Die angenehmen kosten wir voll aus, aber die vermeintlich unangenehmen wollen wir nicht fühlen und drängen sie zur Seite. Dummerweise bleiben sie uns aber genau durch diese Strategie unvermeidlich erhalten, wodurch sie uns blockieren. Meist in Form von chronischen und dennoch unbewussten muskulären Verspannungen, welche viele gesundheitliche Folgen mit sich bringen können.1 Aber zusätzlich auch in einem Verlust unseres inneren Zugangs zur Intuition und zu unserem Körpergewahrsein.

Hierdurch entsteht zunehmend ein inneres Ungleichgewicht, welches sich in unserer gesamten Kultur widerspiegelt. Und je mehr solcher Akten sich auf dem Schreibtisch der zur Seite geschobenen Emotionen in uns ansammeln, desto mehr müssen wir uns mit ablenkenden Alltagsmaßnahmen und vollgestopften Terminkalendern von ihnen ablenken, damit sie nicht an die Oberfläche quellen, wo sie uns zu bedrohlich erscheinen.

Den meisten von uns ist dieser Mechanismus nicht bewusst, obwohl sie ihm selbst überwiegend unterliegen. Aber genauso wenig, wie es uns möglich ist, die glücklichen Momente des Lebens dauerhaft festzuhalten, dürfen wir uns darauf verlassen, dass auch die unangenehmen Momente von Natur aus vergänglich sind und sich wieder verabschieden. Nur wenn wir uns also erlauben, beide Seiten dieser einen Medaille, generell im Leben, gleichberechtigt in ihrer Ganzheit zu fühlen, bleiben wir in der inneren Balance. In unserer eigenen Mitte. Dann bleibt der Schreibtisch leer.

So gesehen birgt diese aktuelle Zeit auch eine große Chance für jeden Einzelnen und in der Summe auch für die ganze Gesellschaft. Aktuell haben wir wieder Zeit für unseren engsten Kreis, unsere Kinder und für uns selbst. Dürfen schauen, was uns wirklich wichtig ist im Leben. Erkennen, dass es auch noch ein Innen und nicht nur ein Außen gibt. In dieser außergewöhnlichen Situation, in der wir durch bewegungseinschränkende Maßnahmen im Außen nicht wie gewohnt vor uns selbst weiterhin davonlaufen können, bietet sich für jeden von uns die Chance, sich an den inneren Schreibtisch zu setzen, um das eigene innere Gleichgewicht dort durch bewusstes Ansehen der unerledigten Akten wieder herzustellen. Die professionelle Unterstützung eines passenden Coach oder Therapeuten sowie das Praktizieren von Meditation und Blockaden auflösender Körperarbeit wie Yoga oder Tai-Chi kann ich nur wärmstens empfehlen.

Die ungeahnte innere Erleichterung, welche sich dadurch einstellt – davonlaufen benötigt viel Energie –, kann uns zurück in einen gefühlten inneren Kontakt mit uns selbst und unserem Körper bringen, welchen wir oft schon seit unserer Kindheit verloren und vergessen haben.

In dessen Folge beginnen wir uns wieder auf lebendige, dynamische Weise in allen Zellen zu spüren und zu fühlen. Erleben, dass wir nicht nur aus einem mit rastlosen Gedanken gefüllten Gehirn bestehen, sondern auch einen wunderbaren Körper haben, der ein geniales Instrument zum unmittelbaren Erfahren unserer äußeren und inneren Umwelt ist.

Und aus diesem unmittelbaren Fühlen und Spüren des Lebendigen heraus erwächst wirkliche Empathie. Die Quelle für ein authentisches achtsames Miteinander. Auch zwischen Mensch und Natur. Denn vergessen wir nicht. Es warten noch weitere globale Herausforderungen auf uns, die wir aus der Angst heraus nicht meistern können. Angst lähmt und spaltet uns voneinander. Mit Empathie jedoch bleiben wir mit unseren Herzen in Verbindung und finden zurück in die freudige Tatkraft.

Ich würde mich freuen, wenn ich dir mit diesen Zeilen den Samen und den Mut zu einem neuen Umgang mit den aktuellen Themen und ganz allgemein mit Ängsten in dein Herz legen konnte und wünsche dir für deinen Weg alles Gute.

Michael Berstecher (April 2020)

 

Tipp: Anbei zwei ganz einfache Übungen welche jenen Teil unseres vegetativen Nervensystems aktivieren, welcher uns unmittelbar aus der Angst herausholt und uns wieder mit unserem Herzen in Kontakt bringt:




[1] Alte Themen wie Wut und Angst speichert unser Körper meist in Form muskulärer Verspannungen, welche zu erheblichen Bewegungseinschränkungen führen können. Auch können durch diese Verspannungen Nerven eingeklemmt werden, was weitere Symptome, bis hin zu funktionellen Organstörungen, mit sich bringen kann.. Durch lokale muskelentspannende Maßnahmen und die Aktivierung eines ganz bestimmten Teils unseres vegetativen Nervensystems, können solche Blockaden gezielt und erfolgreich aufgelöst werden.


Buchempfehlungen

S. Rosenberg: Der Selbstheilungsberv – So bringt der Vagus-Nerv Psyche und Körper ins Gleichgewicht, VAK Verlag
H. Steinrücken: Schmerzerkrankungen und vegetative Störungen. Praktische Anwendung der Sympathikustherapie, Magenta Verlag


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Texte: © Michael Berstecher / Textversion 1.2 (April 2020)

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